· 

Nicht nur heute gedENKEn!

Ich weiß noch ganz genau was ich vor zehn Jahren am heutigen Tag den 10.11. gemacht habe. Wir kamen von einer Fernreise und ich hatte ziemlichen Jetlag. Ich war froh am späten Nachmittag zu Hause sein und wollte nur noch ins Bett. Als ich am frühen Abend dann eine Anruf erhalten habe werde ich den Austausch nicht vergessen: 

„Ist schon krass mit Enke oder?“.

 Meine erste Reaktion: „Was ist denn mit Enke, ich habe nichts bekommen.“ 

„Der hat Selbstmord begangen und sich auf die Schienen gelegt!“. 

Wie das unter Freunden so ist veräppelt man sich gerne mal und daher sagte ich das man damit keine Späße macht, ich ziemlich kaputt bin und er doch am Sonntag noch ein super Spiel gegen den HSV gemacht hat. Ich glaube das daher nicht  denn warum sollte er das tun, er war doch stets glücklich. 

Mein Freund verwies mich auf die gängigen Onlineseiten, die jedoch alle wegen Überlastung nicht erreichbar waren. Ich habe also den Fernseher und einen Nachrichtenkanal angeschaltet wo die Nachricht unten im Ticker lief. Ich konnte es einfach nicht fassen!

Die nachfolgenden Tage waren surreal, ich konnte es einfach nicht glauben und war sehr irritiert warum Robert Enke das getan hat. Am schlimmsten war dann auch die Trauerfeier, die ich natürlich im TV verfolgt habe. Ich ziehe meinen Hut vor den Mitspielern, die den Sarg ins Stadion getragen haben. Ich könnte es mir persönlich schwer vorstellen im normalen Ligaalltag immer wieder mit dieser Situation konfrontiert zu werden, ich kann mir vorstellen, dass das den einen oder anderen in seiner Leistung gehemmt hat. Die Trauerfeier und vor allem die damit verbundenen Reden waren jedoch wirklich sehr angemessen und löste viele mitfühlenden Gefühle trotz der großen Distanz aus.

Die Saison von Hannover96 verlief dann ja auch entsprechend negativ, da m.E. die Mannschaft unbewußt  mit der Situation nicht umgehen konnte. Wie sollte sie auch, im sonst so top vorbereiteten und präparierten Profialltag ist das eine Situation auf die sie niemand vorbereiten konnte. Gerne denke ich daher an das „Abstiegsfinale“ in Bochum zurück, als wir mit 10.000 Hannover 96 Fans eine absolute Heimspielathmosphäre erzeugten. Als nach dem Spiel die Spieler mit dem Enke-Banner dann in Richtung Fans gingen, brachen alle Dämme. Solch intensive Gefühle werde ich wahrscheinlich nicht wieder bei einem Fußballspiel erleben.

Doch was ist danach passiert, hat sich etwas in der Fußballwelt geändert? Natürlich ist gerade unmittelbar nach dem Tod viel über das Thema Depressionen gesprochen worden und die Talkshows wussten „gut“ zu unterhalten. Aber hat sich wirklich nachhaltig etwas geändert? Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass es in der Rückrunde ein Spiel im Profibereich gab in dem eine Mannschaft unter ihren Möglichkeiten gespielt hat und der Boulevard darauf hin die Spieler durchweg schlecht mit „sechsen“ bewertet hat. Da muss man sich doch wirklich fragen ob bei den „Experten“ wirklich alles über die Quote und den Aufmacher geht. Ich bin wahrhaftig nicht gegen die Bewertung von Leistungen und finde das wir gerade die Kinder heutzutage z.T. zu sehr in „Watte“ packen, jedoch sollte die Bewertung dann auch fachgerecht erfolgen und nicht andere Motivationen haben. Ich finde auch generell das es sich sonst auch wenig im gesamten System geändert hat, soweit ich das von außen beurteilen kann ist die Maschinerie die gleiche geblieben. Positiv ist jedoch zu erkennen das zumindest das Angebot in den Vereinen größer geworden ist und die Spieler sich jetzt jederzeit mit dem Thema an jemanden wenden können. Zum Glück wird es auch gemacht und nicht nur mit sich selbst ausgemacht. Mit Markus Miller hatten wir da bei Hannover96 auch einen Spieler der sich aus der Deckung herausgewagt hat. Es ist glaube ich im Profifußball nicht einfach Schwäche oder Anderssein einzugestehen. Sobald sich jemand angreifbar zu machen scheint hat man immer die Angst, dass die gegnerischen Fans oder der Boulevard direkt ausnutzen. Zum Glück war das bei den Spielern, die sich mit dem Thema Depressionen „geoutet“ haben, bisher nicht der Fall, aber ich bin ehrlich gespannt wie das sein wird, wenn sich der erste männliche homosexuelle Profifußballer in Deutschland outet. Da bin ich wirklich auf die Reaktionen gespannt und vor allem ob sich dann alle so korrekt verhalten wie sie es heute behaupten. Es ist in meinen Augen ein absolutes Armutszeugnis, dass das „Anderssein“  von Menschen ob nun durch Krankheiten oder  persönliche Vorlieben von anderen Menschen dafür verurteilt werden. Warum darf nicht jeder so leben wie er mag und vor allem was maßen sich manche Menschen an jemanden für seine eigenen Entscheidungen zu kritisieren?

Die Entscheidung, die Robert Enke vor zehn Jahren getroffen hat, war für viele sehr schmerzhaft und wenn ich daran denke bin ich natürlich mit meinen Gedanken bei Theresa Enke. Ich ziehe meinen Hut vor Ihrer unermüdlichen Leistung, wie sie das Thema so schnell in die Öffentlichkeit gebracht hat und kontinuierlich daran arbeitet es gesellschaftsfähig zu machen. Auch da denke ich an die Kritiker zurück, die sie dafür verurteilt haben wie sie so schnell an die Öffentlichkeit gehen konnte. Auch da gilt der Hinweis jeder geht den für sich richtigen Weg und ich finde den von Theresa Enke mit der Robert Enke Stiftung bewundernswert.

Was mir das Verständnis für den für Robert Enke aussichtslosen Weg ein Stück weit erleichtert hat, ist das Buch von Ronald Reng. Ich habe es mir natürlich umgehend nach Erscheinen gekauft und muß sagen ich empfehlen es jeden der es noch nicht gelesen hat. Es hilft viel zu verstehen wie die Mechanismen im Profifußball sind und wie lange das Versteckspiel von Robert schon angedauert hat.

Ebenfalls zu empfehlen ist der Film der vom NDR zum 10 jährigen Todestag produziert wurde, er ist aus meiner Sicht wirklich gelungen und sehr sehenswert. Ich bin selbst auf die „Langversion“ gespannt, da bei der Premiere am Montag ja „nur“ die Kurzversion ausgestrahlt wurde. Ich finde es auch wirklich klasse das diese nicht im Spätabendprogramm „untergeht“ sondern einen prominenten Sendeplatz am Sonntagnachmittag bekommen hat. Ich freue mich darauf und werde ihn mir selbstverständlich anschauen zur Not in der Mediathek.

Konfrontiert bin ich so oder so fast täglich mit der Geschichte von Robert Enke. Wie auf dem Bild zu sehen ist, wird jeder Besucher automatisch mit ihm in meiner „Hannover 96“ Ecke konfrontiert. Selbst mein nun fast achtjähriger Sohn weiß nicht nur das Robert Enke natürlich mal Torwart von Hannover 96 und der Nationalmannschaft war, sondern das er keinen anderen Ausweg mehr sah mit seinen Problemen fertig zu werden als sich das Leben zu nehmen. Wir haben ihn daher versucht zu sensibilisieren das geäußerte Schwäche keine Schwäche ist sondern vielmehr die Größte Stärke ist die jemand zeigen kann. Als den „Größten“ und „Stärksten“ präsentiert sich jeder gerne und läßt sich auch gerne dafür feiern, aber wer denkt denn auch an den Unterlegenden? Gerade beim Sport gibt es neben dem Gewinner auch immer einen Verlierer und dem gilt es mit Respekt gegenüberzutreten und nicht noch mehr niederzumachen. Das ist u.a. eines der seit mehr als einem Jahrhundert geltenden Werte des Fußballs das „Fairplay“, was leider immer weniger gelebt wird. Da frage ich mich oft was im Fußball passiert ist, denn beim Vorreiter des Fußballs so wie wir ihn spielen dem Rugby, wird das noch wirklich gelebt und groß geschrieben. Beeindruckend war dies zuletzt wieder bei der Weltmeisterschaft in Japan zu beobachten.

Daher ist es unserer aller Aufgabe die Werte wieder in den Vordergrund zu rücken und vor allem auch vorzuleben. Denn wenn wir alle besser miteinander umgehen und auch Schwächen zulassen, haben wir vielleicht die Möglichkeit Situationen in denen Menschen die Entscheidung, wie Robert Enke sie am 10.11.2009 traf, zu verhindern. Also bitte nicht nur heute an Robert Enke gedENKEn sondern versucht es durch das eigene Handeln in den Alltag zu integrieren und achtsamer und rücksichtsvoller auf die Mitmenschen zu reagieren. 

 

Heute gehe ich mal nicht zum Kicken nach dem ich diese Zeilen geschrieben habe. Ich freue mich statt dessen auf die schönen Stunden u.a. mit meinem Freund, der mir die Nachricht vor 10 Jahren überbracht hat, in der Natur. Ich werde die restlichen Stunden des Sonntags genießen und erfreue mich daran das ich und meine Familie sich guter Gesundheit erfreuen und genauso schöne Stunden wünsche ich euch auch.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0