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Ein Fußballländerspiel wie „wir“ uns das wünschen

Am vergangenen Samstag den 11 Juni hat ein außergewöhnliches Fußballländerspiel stattgefunden. Im ersten Moment denkt der ein oder andere dabei sicher an das Länderspiel der Deutschen Nationalmannschaft, oder #dieMannschaft wie sie sich so gerne präsentiert, gegen Ungarn. Ich war allerdings bei einem anderen Länderspiel, was man als genaues Gegenteil der Marketingmaschinerie einordnen kann.

Zum Duell haben sich die Nationalmannschaft Ostfriesland, in Ihrem erst zweiten Länderspiel, gegen eine Inselauswahl bestehend aus Spielern der Inseln Juist und Norderney zusammen gefunden.

Der Ort der Begegnung hat für mich dabei eine ganz besondere Bedeutung. Als jährlicher Gast der Insel Juist zum Familienurlaub, wollte ich schon immer mal ein Fußballspiel im sogenannten Dünenkessel live miterleben. Bedauerlicherweise gibt es aber seit ein paar Jahren keine Juister Mannschaft mehr die am Spielbetrieb teilnimmt. So hatte ich den Wunsch schon fast als nicht einlösbar abgehakt jemals ein Spiel live zu sehen.

Umso glücklicher war ich Anfang dieses Jahres als ich vom angesetzten Länderspiel in den sozialen Medien gehört habe, denn wie der Zufall es wollte, fiel das Spiel genau auf das Wochenende in unserem seit Ende letzten Jahres gebuchten Urlaubes. Zufall? Nein die gibt es nicht! ;-)

Das Spiel selber hat aber eine wesentlich längere Vorgeschichte. Angefangen hat es nämlich wie so vieles in der „Vor-Corona-Zeit“ bei einem Maibaumfest in Ostfriesland. Da entstand die Idee auf Grund des anstehenden Jubiläums der deutschen Wiedervereinigung, die vielen Ostdeutschen Spieler, die nach der Wende in einer Vielzahl in Ostfriesland ihre erste Bleibe und neue fußballerische Heimat gefunden haben, wieder einmal zusammen zusammen zu bringen. Die Reaktion der Spieler auf die Einladung war auch nach den Berichten des Initiators, Organisators ach einfach das „Mädchen für alles“ Kai Schoolmann, durchweg positiv, wodurch es dann im vergangenen Jahr zwar nicht am bevorzugtem 3.10. aber am 11.10.2021 zum Länderspiel zwischen der neugeschaffenen Ostfriesischen Nationalmannschaft und der Nationalmannschaft der DDR kam.

In den Reihen der Ostfriesen finden sich einige ehemaligen Profispieler aus den deutschen Ligen, die alle das Kriterium erfüllen in Ostfriesland geboren zu sein. Prominentestes Mitglied, aufgrund seiner aktuellen Trainertätigkeit beim FC St. Pauli, ist wahrscheinlich Timo Schultz, der sich nun auch, entgegen einer Äußerung in einem Interview, doch noch Nationalspieler seine „Landes“ nennen kann.

Nachdem das erste Spiel eine immense Aufmerksamkeit erzeugt hatte und auch eine beachtliche Summe für einen guten Zweck gespendet werden konnte, stellte sich für Kai natürlich die Frage, wie es mit der Nationalmannschaft weiter geht. Durch seine eigene Verbindung, durch diverse (Urlaub)Aufenthalte auf Juist und seinen vielen Kontakten in die „Groundhopperszene“, denen der „Ground“ Juist schlicht noch auf Ihrer Liste fehlte, war schnell die Idee geboren gegen eine Inselauswahl anzutreten. Die Organisation mit der Anfrage bei dem Bürgermeister startete dann auch bereits im November 2021 nur wenige Wochen nach dem ersten Länderspiel.

Für die Organisation des Spiels waren einige Besonderheiten zu beachten, die größte Herausforderung durch den Spielort Juist war dabei sicherlich die Tideabhängigkeit der Insel, d.h. die Abhängigkeit der Anreisemöglichkeit an Ebbe und Flut. Galt es doch einen der seltenen Termine zu finden an dem es den Besuchern des Spiels auch möglich ist am Tag des Spiels an- und am Abend auch wieder abzureisen. Genau einer dieser Tage fiel zu meinem Glück auf den vergangenen Samstag, an dem für die Rückreise der Fans eigens eine extra Fähre zurück zum Festland gechartert wurde. 

Das war nur eines von vielen Puzzleteilen, die Kai in seiner Freizeit zu organisieren hatte. Freizeit hat er durch „Corona“ mittlerweile ein wenig mehr, da sich sein vorheriges sehr ausgedehntes Fußballreiseaufkommen mittlerweile sehr stark reduziert hat. Dem einen oder anderen ist sicher mal seine Fahne „Großheide“ bei Länderspielen der deutschen Nationalmannschaft aufgefallen, hat er doch u.a. seit 1996 jedes Turnier besucht. Wie bei vielen anderen Alles- oder Vielfahrern ist aber die Bindung im Laufe der Zeit mehr und mehr verloren gegangen, da es mit dem ursprünglichen Fußball immer weniger zu tun hat und das „Event“ mit dem ganzen Marketing und Sponsoringdrumherum immer mehr im Fokus steht.

Umso schöner war der Tag am Samstag im Dünenkessel von Juist, denn bei der Organisation hat Kai besonders darauf wert gelegt, dass es ein Stadionerlebnis wie früher wird. Es galt schlicht das Motto: Freie Platzwahl, Flaschenbier und eine „ehrliche“ Bratwurst. An den Preisen, sei es beim Eintritt oder den Lebensmitteln, war ganz klar zu erkennen, dass es um das Spiel und nicht um Profit geht, also das genaue Gegenteil zum oft zitierten „Modernen Fußball“, bei dem man doch das Gefühl hat, das Geld steht mehr als andere im Fokus. Das mag vielleicht auch der Grund sein, warum sich gerade immer mehr ehemalige Profis nach ihrer aktiven Karriere komplett aus dem Fußball zurückziehen, wodurch Kai das Problem hat, einen noch kleineren Pool an ehemaligen echten ostfriesischen Fußballprofis für die Nationalmannschaft zur Verfügung zu haben.

Der Tag auf Juist hatte dann zum Teil Volksfest-Charakter,. Spätestens nach der Ankunft der Fans mit der morgendlichen Fähre vom Festland um 9:00 Uhr war auch dem letzten Urlauber und Insulaner klar, dass das ein ganz besonderer Tag auf der längsten und schönsten Sandbank Deutschlands werden würde. An vielen Ecken der Insel waren die Fans zu finden, sei es am Westende der Bill, wo sie zum Seehunde schauen vorbei geschaut haben, am langen Sandstrand mit der Strandbar, am Flughafen, an dem die Fans, für die die Fähre zu früh abgefahren ist, angekommen sind, oder verteilt im ganzen Ortsgebiet mit dem Zentrum am Kurplatz, an dem eigentlich immer eine kleine Gruppe von Fußballfans anzutreffen war. Nachdem dann auch die Sonderfähre aus Norderney angekommen war, wurde die Insel immer voller und die Zeit bis zum ersten Anpfiff des Tages um 14 Uhr, mit dem Spiel der Jugendmannschaften von Juist und Norderney, verging dann ganz wie Fluge.

Beim ersten Spiel des Tages hat man dann gleich die besonderen Herausforderungen des Tages beobachten können. Zum einen schien den ganzen Tag die Sonne, wodurch die sportlichen Aktivitäten natürlich anstrengender waren als dies bei bewölktem Himmel der Fall gewesen wäre. Die größere Herausforderung stellte aber der von mir persönlich geliebte Wind aus westlicher Richtung am Spieltag im Dünenkessel. Es war ganz klar zu erkennen, dass die Mannschaft mit dem Wind im Rücken klare Vorteile hatte. Zwischendurch musste ich an die Sonderregel der FIFA für die Faröer Inseln denken, bei dem es bei dem Elfmeter gestattet ist, dass ein Mitspieler aufgrund des Windes den Ball bis zur finalen Ausführung mit dem Finger festhalten darf.

Umso erstaunlicher ist die Leistung der Juister Jugendmannschaft anzuerkennen, die im Gegensatz zu ihren Gegnern von Norderney nämlich nur trainieren und nicht am Spielbetrieb teilnehmen. Sie haben es geschafft, das relativ ausgeglichene Spiel kurz vor Schluß und dann ausgerechnet gegen den Wind mit einem sehenswerten Kopfball noch auszugleichen, was die abwechslungsreiche und bereits von vielen Fans unterstützte Partie sehr schön ausklingen ließ.

 

 

Anschließend kam dann der Höhepunkt des Tages mit dem Duell der Herrenmannschaften. In einem sehr torreichen Spiel, was nach fünf Minuten durch die 2:0 Führung der Ostfriesen (sie spielten die erste Halbzeit mit dem Wind) schon so gut wie entschieden galt, wurde in der zweiten Halbzeit fast noch spannend als die Insulaner noch einige Tore erzielen und der neue Torwart der Inselauswahl einige Torchancen der Ostfriesen mit Glanzparaden vereiteln konnte.

Die Fans kamen jedenfalls voll auf ihre Kosten und feuerten beide Mannschaften ununterbrochen an und pushten sich dabei immer wieder neu zu Höchstleistungen. Einzig der Stadionsprecher, live aus dem „Sportstudio Alte Herren“, musste einem fast leid tun, da er doch einiges zu tun hatte. Schön war dabei natürlich die Tatsache, das kein Tor, keine Auswechslung oder gar der Strafstoß von irgendwem „präsentiert“ wurde und die Durchsagen sich, wie man sich das doch eigentlich im Stadion wünscht, aufs Wesentliche beschränkten. Am Ende des Tages stand es jedenfalls  zehn zu vier für die ostfriesische Nationalmannschaft, die damit iweiterhin ungeschlagen bleibt. Spannend für die Statistiker ist übrigens, dass sie wieder vier Gegentore wie gegen die DDR bekommen aber dieses mal eines mehr geschossen haben. (Das Spiel ging im Oktober neun zu vier aus)

 

Mit nachfolgenden Spielern haben die Mannschaften unter der Aufsicht des Schiedsrichterteams um Nicole de Wall, Klaus Rumfeld, Thomas Burufka, und Tammo Poppe das Duell bestritten:

„Ostfriesischen Nationalmannschaft“:
Jens Loger, Holger Janssen, Matthias Voss, Helge Janssen, Frank Löning, Christian Alder, Matthias Rosenfeld, Ralf Backhaus, Ingo Ukena, Roland Klaue, Stefan Eeten, Bernd Grotlüschen, Ralf Rosenboom, Thorsten Folkerts und Finn Rosenboom.

Inselauswahl unter der Führung von Thomas Reichenberger:
Roland „Ronaldo“ Sahm (Namensgeber war hier übrigens der erste Ronaldo und nicht der heutige), Finn Schwips, Patryk Kowalczuk, Jens Heistermann, Renke Fischer, Simon Holtkamp, Marco Harms, Lukas Eilts, Jens Harms, Deniz Cömertpay, Nils Visser, Arie Sander, Gero Schönrock, Marcel Haacke und Lasse Westermann.

Tore:
0:1 Grotlüschen, 0:2 und 0:3 Rosenboom, 0:4 Klaue, 0:5 Adam, 0:6 Rosenboom, 1:6 Eilts, 1:7 Ukena, 2:7 Holtkamp, 3:7 Eilts, 3:8 Ukena, 3:9 Alder, 4:9 Cömertpay, 4:10 Voss (Elfmeter)

 

 

 

 

Nach dem Spiel wurden dann noch schnell ein paar Fotos zur Erinnerung geschossen, bevor es für alle zurück zum zentralen Kurplatz ging, wo ein eigens aufgestellter Bierwagen die ununterbrochen durstigen Kehlen versorgte und auch durch die aufspielende Band ein tolles Rahmenprogramm geschaffen wurde. Um 20 Uhr lichteten sich dann ein wenig die Reihen, da die Tagesbesucher der gut 500 Zuschauer die Fähre zurück zum Festland oder nach Norderney kriegen mussten. Es ist übrigens nur von einem spontan verlängerten Aufenthalt am späteren Abend die Rede gewesen, alle anderen haben die Rückreise wie geplant angetreten. Die letzten Runden des Abends wurden dann in den direkt angrenzenden Bars und Kneipen ausgeschenkt, bei denen noch mal die oder andere Situation im Dünenkessel diskutiert wurde. Bei einem waren sich die Fans, Exprofis und Amateurkicker jedoch einig: Es war einfach ein überragender Tag bei dem der Fußball in seiner schönen Einfachheit absolut im Mittelpunkt stand!

Kai und seinen Unterstützern waren am Abend dann auch die Freude und auch die Erleichterung über den mehr als erfolgreichen Tag merklich anzusehen. Er schreit jedenfalls förmlich nach einer Wiederholung. Spannend wird dann jedenfalls wer der dritte Gegner der Ostfriesen sein wird, erste lose Kontakte und Ideen bestehen bereits und wie ich Kai kennengelernt habe beginnt die neue Organisation bestimmt wieder in ein paar Wochen. Ich werde jedenfalls sicher wieder mit dabei sein egal wie der Gegner heißen wird, da es einfach schön ist einen Tag Fußball wie „wir“ ihn lieben gemeinsam zu verbringen. 

Gespannt bin ich auch wie viele deutsche Fans am Ende diesen Jahres zum kompletten Gegenentwurf des schönen Fußballtages auf Juist den Weg nach Katar antreten. Von vielen Fans, die bisher kein Turnier verpaßt haben, ist jedenfalls von einem komplett Boykott (inkl. TV) zu hören, bei Kai wird es wohl auf einem „Kurzbesuch“ hinauslaufen, da er keine Lücke in den Turnieren haben möchte und seine Serie halten will, was ich als Sammler sehr gut nachvollziehen kann. Seine Euphorie und Begeisterung für das Turnier und das zu besuchende Land ist jedenfalls nicht so groß wie das bei den vorhergehenden Turnieren der Fall war. Aber wie soll auch eine Vorfreude aufkommen wenn man weiß, dass das günstigste Finalticket 600€ kosten wird. Mit dem Geld kann man jedenfalls viele schöne Spieltage im „alten“ Fußball verbringen und dabei noch auf viele Gleichgesinnte treffen. Man muß ja nicht immer das „schöne Moderne“ nehmen sondern einfach das „alte Bestehende“ wertschätzen. Ich hoffe jedenfalls das ich bald vom nächsten Spieltermin der Ostfriesische Nationalmannschaft erfahre werde und freue mich jetzt schon auf einen Fußballländerspiel ganz nach „unserem“ Geschmack und ein Wiedersehen der vielen Fußballbegeisterten Menschen, die ich an dem Wochenende kennenlernen durfte. Ich bin schon gespannt wie viel bekannte Gesichter man dann wieder trifft und welche neuen dazukommen. Für heute reicht es aber auf jeden Fall mit der „modernen“ Welt, ich schalte den Rechner nun aus und gehe lieber eine Runde Fußball spielen und das Gleiche solltet ihr auch tun. Also bis bald, bleibt gesund und spielt Fußball.

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Hans-Jürgen Hinrichs (Dienstag, 14 Juni 2022 16:20)

    Besser kann man dieses Spiel nicht beschreiben! Meine Frau und ich haben einen Kurzurlaub auf Juist gemacht und das Spiel genossen. Ich hoffe auf Helgoland als nächsten Gegner.....
    Danke an Kai und alle anderen Helfer und Grüsse von Deiner Paulaner Runde...