· 

Architekt statt Nationalspieler - Eine unglaubliche Lebensgeschichte

 

Das Neue Jahr startet für mich mit einem Highlight. Ich hatte die Möglichkeit den letzten lebenden Deutschen Meister von 1954 Rolf Gehrcke von Hannover 96 zu treffen um mich mit ihm über seine Fußballkarriere und seinem Leben zu unterhalten. Herausgekommen ist ein Dreiteiler über ein ganz besonderes Leben unterlegt mit Exponaten aus meiner Sammlung zu der "konservierten" Fußballgeschichte. Ich wünsche Dir jetzt viel Spaß beim Lesen und freue mich über Feedback.

 

 

Das Leben von Rolf Gehrcke begann vor 90 Jahren am 8.11.1932 in Hannover. Die ersten Lebensjahre sind weniger geprägt vom unbeschwerten Leben als vielmehr vom Kriegsgeschehen in Hannover. Sein Vater hatte ein Lebensmittelgeschäft in Hannover, was auch der Jugendabteilung, in der Rolf Gehrcke seit 1946 aktiv war, sehr zugute kam.

Wie in den Nachkriegsjahren üblich florierte der Tauschhandel um an etwas Essbaren zu kommen. So war es naheliegend, dass auch sein Vater die Möglichkeiten nutzte um an Waren für seinen Laden zu kommen. Heute kennt man es vielleicht noch aus Wettbewerben wo Menschen versuchen einen vorhandenen Gegenstand durch Tauschgeschäfte immer weiter aufzuwerten, früher war es schlicht lebensnotwendig. 

Der Vater von Rolf Gehrcke dachte dabei allerdings nicht nur an seine eigene Familie sondern auch an die Jugendspieler von Hannover 96. Denn jeder Junge der zum Training kam, ging mit etwas zu essen nach Hause. Das führte nach den Aussagen von Rolf Gehrcke dazu, dass sie in kurzer Zeit immer mehr Jugendspieler bei 96 wurden. Wenn man jetzt denkt, dass wäre der Ursprung der späteren Meistermannschaft von 1954, liegt man leider verkehrt. Der Vater von Rolf Gehrcke stieg nämlich zum Betreuer der 1. Fußballmannschaft von Hannover 96 auf. Dadurch versorgte er nun primär die Herrenspieler mit den essbaren Trainingsprämien und weniger die Jugendspieler.

Das führte dazu, dass einer der damaligen Jugendbetreuer so enttäuscht von der nicht mehr vorhandenen Unterstützung war, dass er Herrn Gehrcke senior bei dem Finanzamt anschwärzte. So kam es eines Tages, dass der junge Rolf Gehrcke von der Schule nach Hause kam und die Steuerfahndung bei ihnen zu Hause waren. Die Herrschaften waren so streng, dass der junge Rolf nicht einmal alleine auf die Toilette gehen durfte. Gefunden haben sie jedoch ausser ein paar Sparbüchern nichts. Die Bücher hat die Steuerfahndung zum Bedauern von Rolf mitgenommen, weil nicht nachgewiesen werden konnte woher das Geld stammte.

Die Sparbücher wurden fleißig von der Oma gefüllt. Die Oma wohnte damals alleine im Umland, da der Opa wie viele Männer der damaligen Zeit inhaftiert war. Das Haus der Großmutter war von den Amerikanern belegt worden. Um über die Runden zu kommen, wusch die Großmutter von Rolf Gehrcke die Wäsche der im Haus stationierten GI´s. Diese haben ihr zum Dank Geld für die Reinigung gegeben. Um den Enkelkindern etwas Gutes zu tun, hat sie das Geld auf die entsprechenden Sparbücher eingezahlt. Da diese Einnahmen natürlich am Fiskus vorbei gingen, konnte die Herkunft bei der Prüfung nicht angegeben werden und waren aus Sicht der Familie Gehrcke verloren. 

Aber nicht nur im Hause Gehrcke ging es hoch her auch bei Hannover 96 waren alles andere als ruhige Zeiten. So war es zum Ende der vierziger Jahre nicht selbstverständlich, dass die Mannschaft in voller Stärke zur Abfahrt zum Spiel bereitstand. So kam es bei einem angesetzten Spiel zu der kuriosen Situation, dass die A-Jugend mit Rolf Gehrcke, die das Vorspiel spielen sollten, bereits in Eimsbüttel vor Ort waren, die erste Mannschaft jedoch nicht ankam. Die war stattdessen nur bis Altwarmbüchen mit dem Bus gekommen. Gemäß offizieller Meldung hatte der Bus bereits beim Losfahren Probleme und ist dann in Altwarmbüchen komplett ausgefallen. Inoffiziell stellte es sich jedoch anders da. Zum Treffpunkt tauchten nämlich nur neun Spieler der ersten Mannschaft auf, wodurch die stark abstiegsgefährdeten Hannoveraner arge Probleme gehabt hätten die notwendigen Punkte zu sichern. Für den Klassenerhalt hat sich der Vater von Rolf Gehrcke im wahrsten Sinne des Wortes sogar noch verbürgt, da er  bestätigen musste, dass sie nur aufgrund des defekten Busses nicht zum Spiel antreten konnten. Wer weiß wie die Geschichte von Hannover 96 weitergegangen wäre, wenn es wirklich zum Abstieg gekommen wäre. Das Dankbarkeit im Sport jedoch nicht immer groß geschrieben wird und auch bei Hannover 96 einiges im Argen lag, war dann beim 25. jährigem Geschäftsjubiläum des Vaters von Rolf Gehrcke ersichtlich. Angestachelt vom Geschäftsführer es würden viele Gratulanten auftauchen, tischte Gehrcke senior ordentlich auf. Erschienen ist jedoch niemand. Enttäuschungen die beim heute 90 jährigem Sohn noch sehr präsent sind.

 

 

 

 

 

 

Zur gleichen Zeit absolvierte ein gewisser Helmut Kronsbein, oder besser bekannt als „Fiffi“, seinen Trainerlehrgang bei niemand anderem als Sepp Herberger in Köln. Nach der ersten Station als Cheftrainer bei der TSG Ulm 1846 wurde er im Jahre 1952, auf Empfehlung von Sepp Herberger, neuer Cheftrainer in Hannover. In der ersten Saison unter „Fiffi“ hat Hannover gegen den Abstieg gespielt und konnte am Ende die Klasse halten. Trainieren durfte der junge Rolf Gehrcke auch bereits mit der ersten Mannschaft, aufs erste Pflichtspiel musste er allerdings noch warten. So kam er aber schon in frühen Jahren in den „Genuss“ das Training von „Fiffi“ mitzuerleben. Der Fokus lag dabei ganz klar auf der Kondition. So war es  z.B. Standard, dass die Spieler jedes Training ans Kopfballpendel mussten um ihre Sprungkraft und gleichzeitig das Timing beim Kopfball zu trainieren. Des Weiteren standen Trainingseinheiten auf dem Platz im Inneren der Radrennbahn auf dem Programm, bei der sich Trainer Fiffi Kronsbein die örtlichen Gegebenheiten zu eigen machte, in dem er die Spieler unzählige Male die Steilkurve rauf und runter laufen ließ. Der „Pferdelunge“ von Hannover, Rolf Gehrcke, machte das wenig aus, da er doch schon damals als ein wahres Laufwunder galt und die Vergleiche mit dem „Windhund“ aus Kaiserslautern, Horst Eckel, nicht überraschten. Später war es für Rolf Gehrcke amüsant, als der von Felix Magath in Wolfsburg als neue Trainingsform aufgeschüttet Laufhügel in den Medien gefeiert wurde, denn die gleichen Trainingsansätze führten 50 Jahre zuvor bereits zum Erfolg von Hannover 96. Wenig begeistert hingegen vom Training waren die zwei Spieler aus der Meistermannschaft von 1938, die ebenfalls noch dem Kader angehörten. Wobei es auch bei denen keinerlei „Starallüren“ gab und sie ganz den von Trainer Kronsbein stets unterstrichen Teamgedanken anerkannten. Das die „alten“ die neuen Spieler jedoch nicht ohne weiteres in die Mannschaft aufnahmen, ist an dem Beispiel der Aufnahme von Rolf Gehrcke sehr schön zu beschreiben, auch wenn Kronsbein auch da das letzte Wort haben sollte.

 

 

 

 

Heutzutage kennt man das von Mannschaften, dass die Jugendspieler z.B. sich auf einen Stuhl stellen müssen und vor der gesammelten Mannschaft ein Lied singen müssen. Wie damals steht da vor allem der Spaß der Mitspieler im Fokus. Nur zur damaligen Zeit ging es weniger um die musikalische Unterhaltung als viel mehr die „Jungs“ zu „Männer“ zu machen. So geschah es nach einem Auswärtsspiel, als die gesamte Mannschaft sich bei der Ankunft in Hannover in einem Lokal absetzen ließ. Neben dem einen oder anderen alkoholischen Getränk durfte/musste Rolf Gehrcke, federführend gefordert vom Spieler Pöhler, zum Einstand eine Zigarre rauchen. Jeder der das schon einmal gemacht hat und dann womöglich nicht nur „gepafft“ hat sondern auch mal einen tieferen Zug genommen hat, weiß dass das nicht unbedingt zum Wohlbefinden beiträgt. So war Rolf Gehrcke entsprechend beim Training am nächsten Tag etwas angeschlagen. Kronsbein wäre nicht der „Fiffi“ wenn er natürlich nicht sofort wusste was geschehen war und was er von der Aktion zu halten hatte. So durfte/musste dann der Deutsche Meister von 1938 Pöhler eine Sonderschicht mit dem Trainer in der Sprunggrube, also im feinsten Sand, verbringen. Angesagt war das sofortige zurückwerfen des Medizinballs, was für Aussenstehende wie eine richtige Quälerei ausgesehen haben muss. Für Kronsbein hingegen muß es auch etwas Genugtuung gegeben haben, da er von den älteren und erfahrenden Spielern, die vielleicht auch mal Widerworte gegeben haben, nicht so angetan war wie von den jungen, die eher mitgezogen haben. Auch waren die älteren Spieler auch nicht die Mannschaftsspieler wie sie sich Kronsbein gewünscht hätte. So mußte der Spieler Tkotz z.B. für jedes Training aus seinem Wohnort Wennigsen zur Bundesstraße laufen, da der Spieler Pöhler, der ihm mit dem Auto von dort mitgenommen hat, „zu faul“ war den Schlenker in den Ort zu machen und wir sprechen übrigens nicht von 1-200 Metern sondern von rund zwei Kilometern.

Aber nicht nur die Trainingseinheiten oder Rituale waren zu der damaligen Zeit ganz anders als heute. Auch die Spielerverpflichtungen bzw. die Anreise der neuen Spieler liefen zum Teil anders ab als heute. War die Verpflichtung und Anreise vom damaligen Olympiateilnehmer Hannes Kirk aufgrund der Nähe zu seinem vorherigen Verein aus Bremen mit den heutigen zu vergleichen, sah das bei den Spielern Rolf Paetz und Klemens Zielinski zu der damaligen Zeit ganz anders aus. So war es zur Saison 1952/53, dass die Mannschaft von Hannover ein Trainingslager im Schwarzwald absolvierte. Besonders in Erinnerung geblieben ist Rolf Gehrcke dabei der Ausflug auf schweizer Boden. Was heute wie selbstverständlich klingt, war damals eine absolute Ausnahme. Als die Spieler nämlich in Rheinfelden an der Grenze waren, liessen sie die schweizer Grenzer kurz auf das Staatsgebiet, damit sie sagen konnten sie seien in der Schweiz gewesen. Der stetige Zimmernachbar auf allen Reisen von Rolf Gehrcke war immer der erfahrene und acht Jahre ältere Hannes Kirk. Auch hier kann man neben dem Lauftalent eine Parallele zu Horst Eckel erkennen, war sein stetiger Bettnachbar doch der ebenfalls deutlich ältere Fritz Walter, aber zu dem kommen wir später noch mal. Wichtiger an dieser Stelle ist die Tatsache, dass die Heimreise aus dem Schwarzwald die Mannschaft durch Westfalen führte. Da wurde dann die Möglichkeit genutzt die neuen Spieler der Saison Klemens Zielinsky und Rolf Paetz direkt einzusammeln. Der Spieler Paetz nutzte dann sogar einen Teil des Busdaches um seine Kohle (es geht um die zum Heizen) mit nach Hannover zu transportieren. Es waren doch ganz andere Zeiten.

 

Ganz andere Zeiten waren es auch in der zweiten Saison unter Kronsbein in Hannover. Am Ende der Saison, in der damaligen Oberliga, standen 20 gewonnene, die bei der Prämienabrechnung noch eine Rolle spielen sollten, bei 30 gespielten Spielen zu Buche. Damit war die Mannschaft eindeutig für die, aufgrund der anstehenden Weltmeisterschaft in der Schweiz, verkürzte Endrunde zur Deutschen Meisterschaft qualifiziert. Jemand der aufgrund einer Verletzung nicht mehr an den Spielen von Hannover teilnehmen konnte, war der eigentlich erste Torwart Werner Schadly, der von Concordia Hamburg gekommen war. Er hatte sich in einem Ligaspiel gegen Detmold verletzt und wurde durch Hans Krämer ersetzt. Der machte seine Sache so gut, dass Kronsbein sich auf ihn als neue Nummer eins festgelegt hatte. Ebenfalls keine Berücksichtigung fanden die beiden Spieler aus dem Meisterjahr 1938, die Kronsbein im Laufe der zwei Jahre aussortiert hatte. Ludwig Männer blieb aber noch viele Jahre als Trainer der Amateurmannschaft, als Leiter der Altherrenmannschaft und sogar als Mitglied des Vereinsvorstandes bei Hannover 96 aktiv.

 

Das war der erste Teil der kleinen Serie. Nächste Woche geht es weiter mit einem Blick in die Finalspiele von Hannover 96 zur deutschen Meisterschaft mit besonderem Augenmerk auf die Geschehen vor- und während des Finalspiels gegen Kaiserslautern. So aber bis dahin bleibt gesund und spielt Fußball.

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Oliver Moritz (Sonntag, 29 Januar 2023 10:08)

    ….eine auch für einen fussballinteressierten Westfalen wie mich, spannende Geschichte deutscher Fussballkultur. Mann freut sich auf die Fortsetzungen. Glück Auf aus Dorsten, dem Tor zum Münsterland.

  • #2

    Thomas Janizki (Mittwoch, 29 März 2023 12:37)

    Hallo
    Dankeschön für den Bericht;
    Habe einige interressant Infos erhalten!
    Tolle Sammlung
    Grüße von einem treuen 96' aus Merzenich bei Düren
    Thomas
    Ps: mein Bruder/Sohn und ich haben auch sehr viele Unikate der Roten
    Kontakt: Janizki@gmx.de oder 0163 7 96 1896
    Gruß