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Architekt statt Nationalspieler - Teil 2 Die Deutsche Meisterschaft 1954

 

Heute geht es weiter mit dem zweiten Teil der kleinen Serie. Falls Du neu dazugekommen bist empfehle ich Dir erst den ersten Teil zu lesen. Viel Spaß und wie immer freue ich mich über Feedback.

 

Das erste Spiel der Gruppenphase zur deutschen Meisterschaft musste Rolf Gehrcke noch aus der Beobachterrolle betrachten, da der gesetzte Spieler auf seiner Position Willi Hundertmark gespielt hat. Das Spiel, gegen den Berliner SV 92, endete für Hannover 96 mehr als glücklich, wodurch die ersten zwei Punkte schon einmal zu Buche standen. Wenig glücklich endete jedoch das Spiel für Hundertmark, da er sich in dem Spiel verletzte. Das einen Leid ist des anderen Freud, denn so kam Rolf Gehrcke im zweiten Gruppenspiel gegen den VfB aus Stuttgart zu seinem Einsatz. Und er machte seine Sache wie die gesamte Mannschaft sehr gut, denn am Ende stand es nach einer zwei zu null Führung zur Halbzeit, drei zu eins im Düsseldorfer Stadion. Hannover hat sich damit sensationell für das Finale zur deutschen Meisterschaft qualifiziert. Vom Abstiegskandidaten ins Finale! Dort trafen sie „als krasser Außenseiter“ auf niemand geringeren als die damalige halbe deutsche Nationalmannschaft aus Kaiserslautern. Aber wieso sollte sich die Geschichte nicht wie 1938 wiederholen, als Hannover den damaligen ebenfalls überragenden „Schalker-Kreisel“ in zwei Finalspielen sensationell geschlagen hat?

Aber was war die Erfolgsformel dieser Mannschaft aus Hannover um den Trainer Fiffi Kronsbein? Nun eines scheint klar, Kronsbein hat von Anfang an den Titel geglaubt, anders ist es nicht zu erklären, dass er sich neben den üblichen Geldprämien noch einen „VW“ als Meisterprämie zusichern lassen hat und das wohlgemerkt als er den Vertrag als Abstiegskandidat unterschrieben hat. Neben dem Glauben von „Fiffi“ kam Hannover 96 zugute, dass der HSV aus Hamburg geschwächelt hat. Meine Lieblingsschlagzeile aus der damaligen Zeit lautet: „Der kleine HSV ist eigentlich der große HSV“. 

Neben dem „Glück“ war es jedoch wie so oft harte Arbeit. Wie schon geschrieben, hatte Kronsbein viel Wert auf die Kondition gelegt. Was für ihn jedoch auch in einer Mannschaft zwingend erforderlich war, war die Kameradschaft in einem Team. Das hat er auch schon als Ausbilder im zweiten Weltkrieg den Soldaten eingeschworen. Um die Säulen der Mannschaft Klemens Zielinsky und Werner Müller hat er die Mannschaft zusammengeschweißt und das auf ganz einfache Weise. So war es Usus, dass die Spieler nach jedem Spiel gemeinsam im Clubhaus aßen, um auch den Sponsoren bzw. Gönnern zu begegnen. Das ist aber auch wieder nicht mit der heutigen Zeit zu vergleichen, bei der die Spieler ihrer „Pflicht“ nach den Spielen nachkommen, damals haben die Spieler das im wahrsten Sinne genossen. Ein weiterer Aspekt den Kronsbein mit einbrachte war das gemeinsame Singen. So erzählte Gehrcke, das Kronsbein sehr musikalisch war und mit seinen Spielern, regelmäßig begleitete Hannes Tkotz mit einem Akkordeon, sang.

 

 

 

 

 

Diese Mannschaft, die sie auch wirklich war, stand im Finale um die deutsche Meisterschaft. Das niemand damit gerechnet hatte, konnte man direkt an dem Finalort erkennen, denn gespielt wurde im neuen Stadion in Hamburg. Es war das erste Finale nach vielen Jahren in dem weder eine Mannschaft aus dem Westen noch aus dem Süden stand. Wie sehr Hannover 96 unter „dem Radar geflogen“ ist, erkennt man auch daran, dass der Nationaltrainer Sepp Herberger die Mannschaft zum ersten Mal in der Saison im Finale hat spielen sehen. Dementsprechend war auch kein Spieler in dem erweiterten 40 Mann Kader für die Weltmeisterschaft vertreten. Man stelle sich das heute mal vor, das kein Spieler des deutschen Meisters im WM Aufgebot stehen würde. Für Kronsbein war das gar kein Problem, da er nach Aussage von Rolf Gehrcke eh „kein Fan der Nationalmannschaft“ war. Vermutlich hatte er etwas gegen den Rummel der um die Nationalspieler gemacht wurde. 

Er selbst bevorzugte gerade im Hinblick auf das Finale, eher die Ruhe und Abgeschiedenheit. Während der 1. FC Kaiserslautern direkt in der Innenstadt von Hamburg ein Hotel bezog, bevorzugte Kronsbein ein Heide Hotel in Bendestorf. Dort war die Mannschaft von dem ganzen Trubel abgeschirmt und konnte sich ganz auf die anstehende Aufgabe konzentrieren. Angereist war die Mannschaft bereits am Dienstag oder Mittwoch und nicht, wie in den damaligen Zeitungen geschrieben, erst am Freitagnachmittag nach der Arbeit. Die Rolle des Underdogs wurde auch schon zur damaligen Zeit gerne in den Gazetten ausgeschmückt. Im Kurztrainingslager in der Heide kam es aber neben der ganzen Ruhe noch zu einem Eklat. Der Vorstand forderte Kronsbein auf den angeschlagen Hundertmark spielen zu lassen, da er sich das nach der Saison verdient hätte. Ausserdem hätte die Mannschaft doch gegen die Lauterer „sowieso keine Chance“, da könne er ihn doch auch aufstellen. Aber Kronsbein wäre nicht Kronsbein wenn er sich nicht auch da durchgesetzt hätte . Für ihn stand schon lange fest, dass die Mannschaft durch die Laufstärke von Gehrcke eine ganz andere Form bekam als mit Hundertmark. Und so war die Aufstellung fürs Finale mit Gehrcke festgelegt und das „Schauspiel“ konnte beginnen. 

Neben den Spielern waren auch die Fans bereit um das „Wunschspiel des Nordens“ zu verfolgen. Für die damalige Zeit herrschte förmlich ein Ausnahmezustand in Hannover. Jeder wollte ein Ticket für das Spiel in Hamburg haben. Die Kartensituation war sogar so angespannt, dass der Vater von Uwe Seeler, Erwin Seeler, eine damalige Fußballgröße in Hamburg selbst nur noch einen Stehplatz bekommen haben soll. Jeder Finalverein bekam 10.000 Karten zur Weitergabe, die restlichen wurden in Hamburg oder an Sponsoren ausgegeben. In der Hannover 96 Geschäftsstelle ist die Telefonleitung aufgrund der vielen Anrufe zusammengebrochen. Es ist ebenfalls überliefert, dass erste Fans sich bereits am Sonntag nach dem Sieg im Spiel in Düsseldorf um 22:00 Uhr angestellt haben sollen, um am nächsten Morgen auch wirklich Karten fürs Finale zu bekommen. Von den Spielern hatten die „Glück“, die bereits verheiratet waren, denn diese bekamen ein Ticket vom Verein. Die Freundinnen gerade der jüngeren Spieler, u.a. von Rolf Gehrcke, leider nicht, auch da waren die Zeiten noch etwas anders. Hätte der Verein gewußt, dass Rolf Gehrcke noch heute mit seiner damaligen Freundin verheiratet ist, hätte sie sicher auch ein Ticket bekommen. 

Neben den Spielerfrauen machten sich noch etliche Fans auf die relativ kurze Reise nach Hamburg. Extra für die Reise wurden die Motorräder in den Vereinsfarben lackiert und 20 Sonderzüge eingesetzt. Wer kein Ticket regulär zu 12,20 DM oder auf dem Schwarzmarkt für satte 300 DM gekauft hat, konnte das Spiel auch beim Public Viewing auf dem Messegelände verfolgen. Für das Spiel wurden extra 30 Fernseher in einer Messehalle aufgehängt. Die ersten Zuschauer nahmen dort schon einige Stunden vor dem Spiel ihre Plätze ein. Man darf an dieser Stelle nicht vergessen, zu der damaligen Zeit waren Fernseher in privaten Haushalten und Fußball Liveübertragungen noch die Ausnahme. Im Nachhinein war es sicher auch besser, dass die Mannschaft von dem ganzen Trubel, der sich rund um das Finale abgespielt hat, nichts mitbekommen hat.

In ihrem Domizil in der Heide waren sie so abgeschottet, dass sie von dem Trubel nichts mitbekommen haben. Einzig Tull Harder, ehemaliger Kapitän der deutschen Nationalmannschaft aber auch verurteilter Kriegsverbrecher, war neben ein paar Schauspielern zu besuch bei den Roten im Heidehotel.

Für 96 war es DAS Spiel überhaupt und so galt die ganze Konzentration dem Spiel gegen die Lauterer. Die Männer um Fritz Walter haben Hannover hingegen nicht ernst genommen, war es doch „das Team der Unbekannten“. In einer Zeitschrift von damals ist sogar vermerkt, dass Fritz Walter in Hamburg noch mit der Miss Hamburg essen gewesen sein sollte und die gesamte Mannschaft am Abend vor dem Finale in Hamburg in einem Kino war. 

Da war er nun da, der Tag des Finals. Die erste Frage der Motorrad-Polizeieskorte an den Busfahrer von Hannover 96 vor Abfahrt war, ob der Bus denn gute Bremse hätte. Die Mannschaft wusste nicht was sie erwartet, die Straße war für die Fahrt der Mannschaft komplett abgesperrt und spätestens bei der Anfahrt zum Stadion war allen klar was da für ein Tumult auf den Straßen geherrscht hat. Zum Glück war nicht mehr viel Zeit wodurch die Spieler keine Zeit mehr hatten noch Groß ins Grübeln zu kommen.

Und so war der Mannschaft auch keine Nervosität im mit 76.000 vollbesetzten Stadion anzumerken und das obwohl die 96er im Gegensatz zu den Nationalspielern der Lauterer noch nie darin gespielt haben. Auch die ungewohnten grünen Auswärtstrikots hatten keinen Einfluß auf das Spiel, was die Roten aus Hannover wie schon gegen den VFB Stuttgart im letzten Gruppenspiel als klarer Aussenseiter angingen. Zugute kam der Mannschaft um Fiffi Kronsbein sicherlich, dass sie auf einen spielstarken Gegner trafen. Im Spiel gegen die Berliner war doch klar zu sehen, dass sie sich mit sogenannten Kampfmannschaften eher schwer taten.

 

 

 

 

 

Die Devise hieß dann auch sachlich aus der Defensive zu agieren und die Gegner in enge Manndeckung zu nehmen. Obwohl Kaiserslautern früh in Führung ging, brachte das die Mannschaft aus Hannover nicht aus dem Konzept. Selbst ein mögliches 0:2, was wegen Abseits nicht gegeben wurde, hätte die Mannschaft nach Aussage von Rolf Gehrcke nicht aus dem Konzept gebracht. Die Mannschaft war voll fokussiert und nach dem Positionswechsel  in der 5. Minute von Werner Müller und Rolf Gehrcke, wodurch Gehrcke der direkte Gegenspieler von Fritz Walter wurde, war klar, dass sie die Chance hatten die hochfavorisierten Lauterer zu besiegen. Gehrcke ließ Walter keine Chance, er „lief ihn Tod“ und hatte am Ende sogar noch die Kraft sich vorne einzuschalten. Dadurch war sein Pendant auf der Gegenseite und die Absicherung von Fritz Walter, Horst Eckel, immer im Nachteil, da Fritz Walter keine defensiven Aufgaben übernommen hatte. So kam es das Hannover kurz vor der Halbzeit noch den Ausgleich erzielte. Übrigens ein nicht gegebener Handelfmeter, verursacht durch Werner Kohlmeyer, hätte diesen schon in der 30. Minute bringen können. 

In der Halbzeit war dann die Ansage von Fiffi Kronsbein eindeutig: „Die packen wir!“. Und so konnte Kronsbein von seinem Platz (z.T. hinter dem Tor) in der zweiten Halbzeit neben dem Mannschaftsarzt und dem Masseur weiter beobachten, wie sich Hannover im damalig gängigen WM-System in einen Rausch spielte . Sie waren konditionell viel stärker und die Lauterer nach Aussage von Gehrcke in der zweiten Halbzeit „einfach platt“. Erschwerend kam hinzu, dass Eckel sich im Laufe des Spiels verletzte und auf Grund der Regularien nicht ausgewechselt werden konnte. Aber auch Gehrcke hatte sich bei einem Zweikampf, bei dem er ein Knie „in den Bauch“ bekam, verletzt, was sogar noch ein Nachspiel haben sollte. 

 

 

 

 

 

Nach Aussage vom Kapitän Müller hatten sie überraschend viel Platz im Mittelfeld und durch die Tore in der zweiten Halbzeit gewannen sie zusätzlich Mut das Spiel zu gewinnen. Am Ende stand es 5:1 für Hannover, die sensationell Deutscher Fußballmeister wurden. Leider führte die Chance von Gehrcke kurz vor Ende der Partie nicht noch zu seinem Tor, dass er allerdings als Manndecker von Fritz Walter überhaupt zu dieser Chance gekommen ist, spiegelt den Spielverlauf ganz gut wieder.

Die Zeitungen überschlugen sich und feierten den Sensationssieger aus Hannover. Im gleichen Atemzug schrieben sie auch die Deutsche Nationalmannschaft in Hinblick auf die anstehenden Weltmeisterschaft ab, in der Verfassung der Spieler wie die Walter Brüder, Kohlmeyer, Eckel und Werner Liebrich war ein frühes Ausscheiden garantiert. Wie es am Ende ausgegangen ist, ist hinlänglich bekannt. Die deutsche Mannschaft wurde ohne einen Spieler des amtierenden Deutschen Meisters Weltmeister in der Schweiz. Daher hat Sepp Herberger, der von den Zuschauern im Hamburger Stadion mit ironischen Sprechchören gerufen wurde, da er die Hannoveraner in der ganzen Saison ignoriert hat, am Ende alles richtig gemacht.

So war Hannover 96 nach 1938 zum zweiten Mal Deutscher Fußballmeister und das Ganze nicht weniger überraschend als beim ersten Mal. In Hannover liefen sofort die Vorbereitung für den Empfang der Mannschaft an. Der Direktor der Bundesbahndirektion Hannover beorderte eigens den Salon- oder Tanzwagen, ganz wie man ihn nennen mag, nach Hamburg, damit die siegreiche Mannschaft auf den Weg nach Hannover weiter feiern konnte.

 

Das war der zweite Teil der kleinen Serie. Nächste Woche geht es weiter mit der Frage warum brach Rolf Gehrcke beim Bankett zusammen, wieso wurde am Tag der Ankunft in Hannover der Strom abgestellt und wie hoch waren die Prämien für die Spieler und einige weitere Informationen. So aber bis dahin bleibt gesund und spielt Fußball.

 

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