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Architekt statt Nationalspieler - Letzter Teil Das Leben als Deutscher Meister

 

So und heute folgt schon der letzte Teil der kleinen Serie über Rolf Gehrcke. Heute werden u.a. die Fragen beantwortet: Warum brach Rolf Gehrcke beim Bankett zusammen, wieso wurde am Tag der Ankunft in Hannover der Strom abgestellt und wie hoch waren die Prämien für die Spieler?

Und jetzt viel Spaß.

 

Bevor die Rückreise am nächsten Tag angetreten wurde, ging es allerdings abends, so wie man es heute auch noch kennt, zum Bankett. Dort herrschte verständlicherweise eine ausgelassene Stimmung, einzig Rolf Gehrcke konnte den Abend nicht in vollen Zügen genießen, da er noch am Bankett zusammengebrochen war. Er wurde anschließend ins Krankenhaus gebracht, dort war allerdings kein Arzt mehr im Dienst und auch der Mannschaftsarzt ist nicht mit ins Krankenhaus gefahren, heute ein undenkbarer Vorfall. Als Gehrcke zu später Stunde aufgrund der Schmerzen um Schlafmittel bat, hat er von der Schwester keines mehr bekommen, da es „schon zu spät“ sei. Am nächsten Morgen hat sich Rolf Gehrcke dann mehr oder minder selbst aus dem Krankenhaus entlassen, da die Schmerzen nicht mehr so schlimm waren, die Ärzte keine Ursachen finden konnten und er unbedingt mit der Mannschaft zurückfahren wollte. Die Diagnose sollte er dann einige Jahre später erhalten.

Für ihn war es wichtig bei diesem einmaligen Erlebnis dabei zu sein. Also trat er die Reise mit der Mannschaft und den Offiziellen an zurück nach Hannover. Und da war der „Teufel“ los. Nicht nur die gesamte Innenstadt inkl. Bahnhofsvorplatz war restlos überfüllt auch schon der Bahnsteig. Angekommen sind sie am Gleis „Raschplatz“ also auf der anderen Seite des Bahnhofs weg vom Vorplatz. Aber das half nichts, der Bahnhof war restlos überfüllt. Das solche Situationen auch zwielichtige Menschen zu nutzen wissen, hat der Opa von Rolf Gehrcke am eigenen Leib erfahren. Beim Durchdrängeln, um voller Stolz seinen Enkel in Empfang zu nehmen, wurde ihm kurzerhand die Geldbörse gestohlen. 

Durch dieses Gedränge wurden die Spieler zu den bereitstehenden offenen Pferdekutschen geführt, von wo aus sie die Triumpffahrt durch Hannover antraten. Direkt am Beginn der Parade haben die Tennismädchen des Vereins ein Spalier für die frischgekrönten Deutschen Meister gebildet. Beim Erzählen kamen Rolf Gehrcke die Tränen vor Rührung, denn niemand anderes als seine damalige Freundin und heutige Ehefrau stand auch bei den Mädels, da sie der Tennisabteilung angehörte. Ab diesem Moment war sie dann an seiner Seite, da er sie kurzerhand mit auf den Wagen gezogen hat. Man konnte in dem Moment als Rolf Gehrcke sie erzählte richtig nachfühlen, wie glücklich er vor nunmehr fast 70 Jahren in dieser Situation gewesen ist.

Mit dem „Umzug“ ging es durch die vollkommen überfüllte Stadt, sie war so überfüllt, dass sogar der Strom abgestellt wurde, da die Fans auf die Straßenbahnen geklettert waren. Unglaublich das damals nicht Schlimmeres passiert ist, jedenfalls konnte ich in den Aufzeichnungen keine Unfälle finden.

Das Ziel der Fahrt war die „Maschsee Gaststätte“ in der sie zusammen mit dem amtierenden deutschen Rugbymeister SV Victoria Linden, die ebenfalls am Tag zuvor ihr Finale in Hamburg gewonnen hatten, gefeiert haben. Die Feier war zurecht sehr ausgelassen und ging sehr lange. Wie Rolf Gehrcke, noch angeschlagen von der Verletzung am Vortag, nach Hause gekommen ist, kann er nicht mehr sagen. Er kann sich schlichtweg nicht mehr erinnern und ich glaube das würde vielen nach so einem tollen Ereignis auch so gehen.

 

 

 

 

 

 

So hat Hannover 96 nach 1938 auch die 2. deutsche Meisterschaft überraschend gewonnen. Da der Fußball in der Zwischenzeit zum Volkssport aufgestiegen ist, war der Jubel nicht nur am Tag der Rückkehr groß. Viele wollten sich mit den Siegern präsentieren und für Ihre Geschäfte nutzen. Neben den Flaschen, Blumen und Schokolade mit denen sie schon bei der Ankunft „überhäuft“ wurden erhielten sie u.a. noch folgende Prämien:

  • Esso: jeder bekam 20 Liter Benzin was innerhalb von 14 Tagen abgeholt werden musste. Da Rolf Gehrcke kein eigenes Auto besaß bekam es sein Vater
  • Wormland: Ledermantel für 299,-DM -> vier Wochen später kam für jeden Spieler eine entsprechende Rechnung, die sie nach lautem Protest allerdings doch nicht zahlen mussten
  • Continental: Erst hieß es jeder Spieler bekommt ein Porzellanpferd, am Ende erhielt nur der Verein eines
  • Flex: Einen Wettermantel und Hut, dazu erfolgte aber zusätzlich ein Freundschaftsspiel in Nordhorn
  • Sporthaus: Eine Ledertasche, die Rolf Gehrcke anschliessend für sein Studium nutzte
  • Stadt Hannover: Füllfederhalter und Druckbleistift
  • Deutsche Bahn: Eine Reise nach Waging am See mit Hin- und Rückfahrt für zwei Personen
  • Reisebüro: Eine Reise nach Borkum

 

Die Prämie von Hannover 96 betrug je Spieler 1.000 DM. Als Vertragsspieler durften sie gemäß DFB Richtlinien offiziell nur 320,- DM pro Monat verdienen, die sich je nach Erfolg aus folgenden Einzelbeträgen zusammensetzten:

  • Grundgehalt 160,-DM
  • Auflaufprämie 10,-DM
  • Sieg 80,-DM
  • Unentschieden 40,-DM
  • Niederlage 10,-DM

 

Dem aufmerksamen Leser dürfte nun aufgefallen sein, dass bei der Quote von 20 Siegen in der Saison die monatliche Grenzen öfters überschritten wurde. Daher wurden diese Prämien nicht direkt ausgezahlt sondern in weniger erfolgreiche Monate „verschoben“. Am Ende der Saison waren noch Prämien über, die dann kurzerhand gestrichen wurden, wodurch sich die Prämie für die Spieler effektiv verringert hatten. „Fiffi“ Kronsbein hat, nach Aussage von Rolf Gehrcke, auch seinen „VW“ wie von ihm verrauschend vereinbart bekommen.

Wer jetzt nun aber denkt es wurde nur noch gefeiert der täuscht sich. Denn direkt am Donnerstag nach dem Finale (Christi Himmelfahrt) stand das nächste Spiel für Hannover 96 auf dem Plan. Die Gegner waren ehemalige Profispieler aus England, die in der Zwischenzeit in Deutschland stationiert waren und als „Britische Armee-Auswahl“ gegen deutsche Mannschaften antraten. Bei der Vereinbarung dieser Partie hat man, wie so viele andere auch, einfach nicht mit dem Gewinn der deutschen Meisterschaft gerechnet, sonst wäre das Spiel bestimmt anders terminiert worden. Aber wie heißt es doch so schön „wer feiern kann, kann auch arbeiten“ und in diesem Sinne traten die 96er gegen die Exprofis von der Insel, ohne vorher nach dem Finale auch nur ein Mal trainiert zu haben, an. Auch der weiterhin angeschlagene Rolf Gehrcke musste mit auflaufen. Wie das Spiel ausgegangen ist, konnte Rolf Gehrcke mir nicht mehr sagen, was auch ein Stück weit den Stellenwert des Spiels widerspiegelt. Nach dem Spiel ging es dann mit den Partnern nach Waging am See wo sie direkt von einer Blaskapelle in Empfang genommen wurden. Anschließend wurden sie auch relativ schnell von den Frauen „sondiert“ und Werner Müller übernahm „das Kommando“ so dass die Mannschaft den Gewinn dort ausgiebig weiter feiern konnte.

 

 

 

 

Der Fokus von Rolf Gehrcke lag nun eindeutig in der Architektur und nicht mehr im Fußball. Da konnten auch die Gespräche der HSV Offiziellen und Tschik Cajkovski (Bild siehe unten) vom FC Bayern München im Jahr 1954/55 nichts ändern, die ihn gerne beide verpflichtet hätten. Gehrcke machte sich im am 01.01.1961 als Architekt selbstständig und bestritt im Spieljahr 1960 noch sein letztes Spiel gegen den Stadtnachbarn aus Havelse. Danach hat er im sportlichen erst einmal Abstand von Hannover 96 genommen, da die vorgefallenen Dinge während seines Abschieds nicht so einfach zu verkraften waren. Im Nachhinein ist er aber auf den Platz in der Traditionsmannschaft und in offiziellen Positionen zu den Roten zurückgekehrt, die Zeit heilt halt manchmal etwas die „Wunden“.

 

 

 

 

 

Was auf der einen Seite gut für die berufliche Karriere abseits des Fußball war, war für den Körper alles andere als förderlich, da Rolf Gehrcke nicht vernünftig abtrainiert hatte. Er hat körperliche Schwierigkeiten vor allem mit dem Kreislauf bekommen. Das hatte dann zur Folge, dass er gründlich durchgecheckt werden mußte. Dabei hat er dann zum ersten Mal erfahren welche Verletzung er aus dem Finalspiel 1954 davongetragen hat. Seine erste Verletzung hat er sich in der A-Jugend bei einem Zusammenprall mit einem Torwart zugezogen, wodurch er sich die Wirbelsäule gestaucht hatte. Die zweite Verletzung war dann eine schwerwiegendere, ebenfalls bei einem Zusammenprall in einem Spiel, brach er sich den Oberkiefer wodurch er seitdem eine Brücke im Oberkiefer tragen muß. Die dritte Verletzung trug er dann im Finale in Hamburg davon, als er ein Knie in den Magen bekommen hatte. Beim Durchchecken, aufgrund seiner körperlichen Schwierigkeiten, wurde erst im Jahr 1957 festgestellt, dass er sich einen Bruch am Brustbein zugezogen hatte und das sich der abgebrochene Knochen weiterhin im Körper befindet. Jetzt wird auch langsam klar warum er beim Bankett zusammengebrochen ist. In dem Moment dürfte das Adrenalin nachgelassen haben und der Körper nach einer Pause gerufen haben!

Jetzt war es allerdings vorbei mit schweren Verletzungen, da die Fußballschuhe vorerst an den Nagel gehängt wurden. Die berufliche Verbindung ist allerdings geblieben, da er u.a. das Clubhaus an der Clausewitzstraße als Architekt bauleiterisch begleitet hat. 

Zu seinem beruflichen Geschick hat Rolf Gehrcke auch das „Quäntchen Glück“ gehabt, für das er sehr dankbar ist und es auch sehr zu schätzen weiß. So kam im Jahr 1962 sein ehemaliger Chef auf ihn zu um ihn zu informieren, dass aktuell drei Aktien der Brauergilde Hannover zum Verkauf stehen würden und er sich doch vor ein paar Jahren so dafür interessiert hat. So kam es das Gehrcke in den exklusiven Kreis der Brauergilde kam und sich auch ein Vorkaufsrecht für die verbliebenen Aktien des Verkäufers hat geben lassen, da kein anderes Mitglied sein Vorkaufsrecht geltend gemacht hat. In der Brauergilde angekommen hat er auch dort eine „Karriere“ gemacht, in dem er im Brauergildeclub vom Schriftführer, Kassenwart es bis zum Vorstand gebracht hat. Er war Daueraufsichtsrat der Brauergilde und Gildebau, bis es zum Verkauf der Gilde Brauerei an den Interbrew Konzern im Jahr 2001 gekommen ist.

Neben seinen Positionen in der Gilde war er auch weiterhin als Architekt tätig und bei den Projekten der Stadionbedachung zur WM 1974, dem Dach und Umbau  des Eisstadions sowie dem Alli Firmensitz und gekühlte Hallen federführend zuständig. Ab 1972 war er zusätzlich als Gutachter für die Wertermittlung von Immobilien tätig, kurzum langweilig wurde es im Leben von Rolf Gehrcke nie.

Neben dem beruflichen ist es auch im Privatleben nicht ruhig gewesen. Mit viel Stolz erzählt Rolf Gehrcke von seiner Enkelin und den drei Enkel, die alle auf der „richtigen Bahn“ sind und z.T außergewöhnliche Ausbildungen und für ihr Alter jetzt schon interessante Lebensläufe vorweisen können. Halt ganz wie der Opa, der sie in ihrem Leben immer unterstützt hat.

Die gesamte Familie war auch im November mit vor Ort als Rolf Gehrcke seinen 90. Geburtstag im Hotel Sonnenalb im Allgäu gefeiert hat. Die acht Stunden Direktfahrt mit dem IC hat er dabei gerne auf sich genommen, da es eine sehr schöne Feier war. Sein persönliches Highlight war die Überraschung seiner Frau. Sie hatte vor Ort organisiert, dass eine Gruppe von 19 Feldhornspielern eine Stunde nur für Rolf Gehrcke gespielt hat. Herr Gehrcke war auch in diesem Moment des Erzählens sehr emotional, was einfach schön zu sehen war, dass ein Mann mit einem so aufregenden und vom Glück begleiteten Leben sich noch über ein so schönes Geschenk seiner Frau, die ihn sein ganzes Leben begleitet hat, freuen kann. Als Außenstehender würde ich sagen, die Entscheidung für das Berufsleben und gegen den Fußball war beim Blick auf das bisherige Leben sicher die Richtige. Dabei ist er ganz, eines Skorpions typisch, nicht immer der einfachste Sparringspartner gewesen, hat aber immer das Durchgesetzt, was er durchsetzen wollte.

 

Mir war es eine Ehre die Geschichten in den Stunden bei Rolf Gehrcke vor Ort persönlich erzählt zu bekommen und freue mich über das Autogramm auf meiner Meisterschale als ewiges Andenken an diese schöne Begegnung. Ich wünsche ihm alles Gute, vor allem Gesundheit und weiterhin stets die richtigen Entscheidungen im Leben.

 

Von Dir freue ich mich über ein Feedback ob Du an weiteren solch umfangreichen Texten interessiert bist und und ob das Format eines Mehrteilers für Dich bei solch einer Länge paßt. Ähnliche Projekte habe ich schon im Hinterkopf bei denen ich gerne Dein Feedback berücksichtige. So aber nun geht es erst einmal auf den Platz eine Runde kicken und das Gleiche solltest Du auch tun. Also bis bald, bleib gesund und spiel Fußball.

 

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